Wer dieser Tage durch Tokios Trendviertel wie Daikanyama oder Omoto-Sando, schlendert, entdeckt sie immer wieder – die kyosho jutaku. Oft nur wenige Meter breit, haben sich diese architektonisch brillianten Microhäuser aus Sichtbeton, Glas und Holz in die urbanen Nischen der Metrolople eingenistet. Laut Architekt Kengo Kuma, dessen Olympiastadion im Jahr 2020 die Sommerspiele in Tokio beherrbergen wird, geht die Tradition der schlichten Stadthäuser bis ins 13. Jahrhundert zurück. Zu einer eigenen Kunstform wurden die Kleinsthäuser jedoch in den 1990er Jahren, als junge Architekten auf der Grundfläche von Parkplätzen und in schmalen Baulücken durch kreative und intelligente Raumnutzung ganze Einfamileinhäuser entstehen ließen, die sich in ihrem Inneren meißt geräumiger anfühlen, als sie es tatsächlich sind. Das Geheimrezept: Durch offene Grundrisse, geschickt gezogene Tageslichtkanäle, ausgewogene Proportionen und haptisch spannende Materialien werden Räume geschaffen, die weit mehr sind als die Summe ihrer Teile.
Dabei muss man nicht erst nach Tokio reisen, um die architektonische Tradition der kyosho jutaku selbst zu erleben: In dem abgelegenen, rauen Bergdorf Vals im Schweizerischen Graubünden findet man nicht nur Peter Zumthors fast schon Zen-buddhistisch strenge, aus Schieferblöcken gehauene Therme Vals – im angrenzenden Hotel 7132 haben sich japanische Architektur-Großmeister wie Kengo Kuma und Tadao Ando auch mit individuell gestalteten Microsuiten verewigt. Wer einmal eine Nacht in Andos 20 Quadratmeter kleinen Hommage an ein japanisches Teehaus oder in Kumas ebenso kompakten Eichenholzkokon verbracht hat, sieht die Möglichkeiten der Lebensraumnutzung mit ganz neuen Augen.
Es ist eine Philosophie der Dinge, die einem in Japan immer wieder begegnet. Auf den ersten Blick erscheinen Gebäude und Objekte einfach, fast banal – erweisen sich aber bei genauerem Hinsehen bis ins kleinste Detail durchdacht und abgestimmt. Das ästhetische Ziel ist nicht Gefallsucht um jeden Preis, sondern Harmonie. Und eine klare, hinter der Form erkennbare Haltung. Nicht umsonst werden die kleinen schwarzen Braun-Wecker des Designers Dieter Rams, die in Europa längst nur noch antiquarisch zu haben sind, in Japan noch immer produziert und kultisch verehrt. Warum schließlich das perfekte Produkt neu erfinden, wenn es doch schon existiert? Auch Porsche baut den 911 seit mehr als 50 Jahren kompromisslos weiter – und wird für die Konsistenz und Zeitlosigkeit von Designpuristen und Sportfahrern gleichermaßen geliebt. Doch mit dem Paradigmenwechsel im Zuge der Elektromobilisierung und Automatisierung des Fahrens ist auch Porsche gefordert, das Automobil als Lebens- und Kommunikationsraum neu zu denken. Und hat mit der „Mission E“ einen Weg eingeschlagen, der in seiner ästhetischen wie funktionalen Konsequenz beeindruckend ist. Mit der Evolution der Elektromobilität und des autonomen Fahrens verändern sich schließlich auch die automobilen Gestaltungsprinzipien. Nicht mehr die Position des Motors oder eine primäre Nutzungsform definiert das Erscheinungsbild eines Automobils. Vielmehr wird das Auto in Zukunft um den Raum herum gestalten werden, in dem sich seine Insassen während der Reise aufhalten, und in dem sie durch harmonisch integrierte Interfaces mit Auto und Umwelt interagieren. Automobilmarken werden nicht mehr für einzelne Produkte wie Sport- oder Geländeautos stehen, sondern – ähnlich wie heute schon eine Marke wie Apple – für eine wiedererkennbare Design-Philosophie und die Überzeugungskraft ihrer Ideen. Statt neuer Komplexitäten zu schaffen, sollten die Autos von morgen also eher für Übersichtlichkeit und Leichtigkeit stehen. Und statt audiovisuellem Lärm kontemplative Stille verkörpern. Auch der neue Porsche Mission E Cross Turismo, der nun in Genf seine Premiere feiert und ab 2019 gebaut werden soll, blendet nicht mit ornamentalem Formenflimmern und dekorativem Tand. Er ist kein vielgesichtiges Objekt, dessen Charakter sich mit jedem neuen Blickwinkel ändert, sondern ein integratives Konzept, dass aus dem Zusammenspiel zahlloser Elemente – von der Fensterlinie bis zum Interface – ein stimmiges, harmonisches Ganzes entstehen lässt. Ein minimalistisches Teehaus auf Rädern, sozusagen. Wenn zugegebenermaßen auch ein sehr schnelles.
Dabei nutzt das Designteam konsequent die neuesten technischen Möglichkeiten, um den Raum zu gestalten und digital zu erweitern. Statt überbordendem Firlefanz und endlosen Schalterbatterien findet man ein raumgfreifendes, geradezu monochrom anmutendes Interface sowie ein Lichtkonzept, dass mit Farben Stimmungen schafft. Auch äußerlich betritt Porsches jüngster Elektro-Gleiter Neuland – und düfte mit seinem Science-Fiction-Look durchaus Spuren hinterlassen: Allein die dreidimensionale Heckleuchten aus Glas mit integriertem Porscheschriftzug haben das Zeug zu einem dritten Erkennungszeichen neben Markentypographie und Wappen zu werden. „Wenn ich ein Gebäude entwerfe“, erklärte einmal der japanische Meisterarchitekt Tadao Ando, „strebe ich nach einer Gesamtkomposition, die sich wie ein Körper aus seinen Teilen zusammenfügt. Und ich versuche zu verstehen, wie Menschen sich dem Gebäude nähern und den Raum erleben werden.“ Es ist die Komposition eines derartig architektonischen, ganzheitlich gedachten Raumerlebnis, dass im künftigen Automobildesign eine Schlüsselrolle einnehmen wird und die in den bisherigen Studien von Porsches „Mission E“ zum Ausdruck kommt. Porsche-Designchef Michael Mauer hat einmal gesagt: „Ich wünsche mir, dass der Porsche Mission E für die elektromobile Welt einmal jene Rolle einnimmt, die der Porsche 911 unter den Verbrennern hat.“ Die Zeichen stehen gut.
Fotos. Stefan Bogner/Porsche • Text: Jan Baedeker