Offiziell mag Michael Mauer der Designchef von Porsche sein – doch insgeheim leitet er im Entwicklungszentrum in Weissach ein gewaltiges Zeitreiseprojekt. Jeden Morgen passieren er und sein Designteam die Hochsicherheitsschleusen, tanken an der Espressomaschine ihren kreativen Raketentreibstoff und verlassen unsere Gegenwart, um auf ihren Gedankenreisen die Welt von morgen zu erkunden. Zum Feierabend kehren sie wieder zurück – mit neuen Einfällen aus dem Jahr 2030, 2040 oder 2050. Tatsächlich ist Porsches Designstudio eine gewaltige Ideenwerkstatt, eine innovative Denkfabrik, in der selbst die verrücktesten Visionen gefördert und weiterverfolgt werden. Das Team ist immer auf der Suche nach dem nächsten genialen Entwurf, der entscheidenden Idee, einem weiteren Entwicklungsschritt auf dem Weg zum Automobil der Zukunft.
Porsche ist berühmt für seine Sportwagen. Und für seine Unabhängigkeit. Der Porsche 911 schwimmt bis heute mit großem Erfolg gegen den Strom – als Heckmotor-Pionier, Designikone und Symbol einer mehr als 70 Jahre alten Idee. Im Rennsport hat Porsche ebenfalls seinen ganz eigenen Weg verfolgt, auf intelligente Lösungen statt schiere Leistung gesetzt und dabei mit mehr als 30.000 Gesamt- und Klassensiegen durch Werks- und Privatrennfahrer Geschichte geschrieben. Der Porsche Taycan definiert seit Kurzem als erster vollelektrischer Seriensportwagen der Marke neues Terrain. Doch was sind die essentiellen Eigenschaften und Qualitäten, die alle Porsche miteinander verbinden? Was ist das Geheimnis des anhaltenden Erfolges? Seit den Tagen des großen Konstrukteurs Ferdinand Porsche scheint der Name für eine Fähigkeit zu stehen, außerhalb etablierter Konventionen zu denken, den Status Quo zu hinterfragen und sich immer wieder neu zu erfinden. Dies zeigt sich nicht nur in den Serienmodellen, mit denen Porsche seinen globalen Siegeszug angetreten hat. Sondern auch in den zahllosen Ideen, Skizzen, Modellen, Studien und Prototypen, die wichtige Teile der Markenevolution sind, normalerweise aber hinter Studiotüren verborgen bleiben.
Mit unserem neuen Buch „Porsche Unseen“ möchten wir unsere Leser auf eine faszinierende Reise mitnehmen – in eine Parallelwelt voller Automobile, die man von Porsche nicht erwartet und von denen man oft nicht einmal zu träumen gewagt hätte. Wir selbst mussten uns manchmal in den Unterarm kneifen. Etwa wenn Michael Mauer für uns den Sichtschutz eines modernen, fahrbereiten Porsche 911 Safari lüftete. Den verblüffend kleinen Prototypen eines modernen Porsche 904 aus dem Lager rollen ließ. Oder mit Blick auf eine dramatische, viertürige Supersport-Studie von der unglaublichen Entstehungsgeschichte des Porsche Taycan berichtete. Hätte der Designchef uns abends freundlich aber bestimmt gebeten, doch eben noch schnell in ein kleines Blitzlichtgerät zu blinzeln und alles Gesehene umgehend zu vergessen – wir hätten uns nicht gewundert.
Dass sich Porsche auf dieses Abenteuer eingelassen hat, ist alles andere als selbstverständlich. Und so dauerte es letztlich drei Jahre, bis aus der fixen Idee, die aufregendsten Visionen aus Porsches Designstudios in einem Buch zu versammeln, tatsächlich Wirklichkeit wurde. Immer wieder reisten wir nach Weissach, um mit Michael Mauer über den Designprozess zu sprechen. Unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen fotografierten wir streng geheime Konzeptautos – und blickten dabei in die faszinierende Zukunft von Porsche. Dass die Marke sich auf dieses Experiment eingelassen hat, ist mutig – und ein weiterer Beweis für den Stellenwert der Designkultur im Hause Porsche. Wie sagte uns Michael Mauer noch gleich? “Das Silicon Valley der Automobilindustrie liegt schon seit langer Zeit in Zuffenhausen und Weissach.“
Natürlich kam die Frage auf: Warum wurden diese Autos nicht gebaut? Für Michael Mauer ist dies nicht entscheidend. Nicht jede gute Idee muss schließlich in Serie gehen, um die Marke einen Schritt voran zu bringen. Für ihn und sein Team geht es bei ihrer experimentellen Arbeit zunächst einmal darum, Möglichkeitsräume aufzuspannen und eine Beziehung mit der Zukunft aufzunehmen. Manche Ideen verbleiben als Skizzen auf dem Papier oder im virtuellen Raum. Andere werden weiterverfolgt, entstehen als dreidimensionales Maßstabsmodell, an dem man Volumen und Proportionen erarbeiten kann. Manche fahren sogar als Prototyp über die nahe gelegene Teststrecke. Doch sie alle stehen symbolisch für eine Idee, einen neuen Gedanken. Sie sollen inspirieren, Orientierung bieten, Sehgewohnheiten verändern und Mitarbeitern in allen Bereichen des Unternehmens als Visualisierungshilfe für Entscheidungsprozesse dienen – bewusst oder unbewusst. Auf diese Art prägen die Ideen der Designer von heute die Welt von morgen. Selbst dann, wenn es manchmal nur eine Idee, ein Strich, eine Karosseriekurve ist, die sich schlussendlich in der Realität materialisiert. Es ist Michael Mauers zentrale Philosophie, die sich in diesem Prozess widerspiegelt: Man muss die Zukunft erst denken, bevor sie entstehen kann.
Vielleicht ist es der besondere Weissach Vibe – diese Energie, die im Epizentrum der Marke Porsche überall zu spüren ist und eine solche visionäre Kultur erst ermöglicht. Design, Motorenentwicklung, Karosseriebau, Erprobung, Fertigung, Rennsport: Wie in einem Uhrwerk sind die einzelnen Bereiche miteinander verzahnt. Ein Spezialist für jede erdenkliche Frage ist meist nur ein paar Gehminuten entfernt. Design Sprints, bei denen interdisziplinäre Teams neue Ideen mithilfe von Prototypen entwickeln und aus Nutzersicht erproben, sind in Weissach schließlich schon seit den 1970er Jahren gelebte Praxis. Das Mindset in den Designstudios ist frisch und spürbar offen für Veränderung. Und zwar ganz egal, ob man mit einem „alten Hasen“ spricht, der schon an den luftgekühlten Elfern gefeilt hat, oder einem jungen Hochschulabsolventen. Es ist ein Ort, den man nicht so schnell wieder verlässt: Michael Mauer ist seit 2004 hier zuhause. Und nach F.A. Porsche, der mit seinem Team den Porsche 911 kreierte, überhaupt erst der dritte Designchef der Marke.
Der Blick hinter die Kulissen der Studios in Weissach zeigt aber auch, wie wichtig der Marke Porsche seine Innovationsfähigkeit und Designkompetenz ist. Und welche Rolle die Gestalter heute im Unternehmen einnehmen. Michael Mauer und sein Team sind weit mehr als reine Stylisten, die jedes neue Modell im Rahmen der vordefinierten Möglichkeiten der Serienproduktion ansprechend verpacken können. Sie begreifen sich vielmehr als Produktentwickler, die ihre Aufgabe ganzheitlich verstehen: als Vordenker der Marke, die mit ihren Visionen die Nebel der Zukunft ein wenig zu lichten vermögen. Sie möchten Orientierung bieten auf dem Weg des Unternehmens in eine neue, unbekannte Welt.
Es ist bemerkenswert, dass der Vorstandsvorsitzende eines straff organisierten Automobilkonzerns seinem Designchef diese kreative Freiheit lässt. Schließlich führt nicht jede Erinnerung aus der Zukunft, jede aus der Welt von übermorgen zurückgebrachte Vision automatisch zu einem neuen, auf etablierte Zielgruppen hin zugeschnittenen Serienmodell. Doch Dr. Oliver Blume, der seit 2015 an der Spitze von Porsche steht, und auch schon sein Vorgänger Matthias Müller haben Michael Mauer und seinem Team das Vertrauen geschenkt. Sie haben Freiräume geschaffen, um neue Ideen zu entwickeln, gewohnte Pfade zu verlassen und in Zeiten rasanter technologischer und gesellschaftlicher Veränderungen das Rad immer wieder neu zu erfinden. Fortschrittlichkeit, innovatives Design und vor allem gute, nonkonformistische Ideen sind bei Porsche nicht nur im Erbgut verankert, sondern noch immer zentrale Elemente der Firmenphilosophie. So verkörpert Porsche gestern wie heute die Avantgarde des Automobildesigns – und blickt hoffnungsfroh einer spannenden, selbst gestalteten Zukunft entgegen.
In ihrem neuen Buch „Porsche Unseen“ gewähren Stefan Bogner und Jan Karl Baedeker ihren Lesern einen Blick hinter die Kulissen der streng geheimen Designstudios von Porsche in Weissach. Designchef Michael Mauer enthüllt dabei unveröffentlichte Konzeptautos und führt durch den Gestaltungsprozess. „Porsche Unseen“ ist ab sofort im Handel erhältlich.