Mountain Roads - Aerial Photography. Ab 9. September im Handel. Der Berg war gestern da. Und wird es auch morgen sein. Wir sind ihm gleich. Sein Zeitgefühl ist erdgeschichtlich, der Mensch kaum mehr als ein Nachtfalter, gelandet auf seinem breiten Rücken vor einem Augenblick: Die prähistorischen Jäger, die römischen Legionen, die Pilger und Saumhändler des Mittelalters, die Straßenbauer mit ihrem Dynamit, die königlichen Kutschen, die schnaufenden Dampflokomotiven, die frierenden Soldaten mit ihren Gewehren, die ersten Automobilisten gehüllt in Wolken aus Staub und das Echo ihrer Motoren, die Radler mit ihren Zwiebelwaden und engen Hosen, die hupenden Postautos, Wohnmobile und Reisebusse, die animalisch dröhnenden Rennmaschinen – dem Berg sind sie alle einerlei. Saumpfade, Kriegspisten, Handelswege, Panoramastraßen: bloss flüchtige Schatten auf seiner Elefantenhaut. Wenn eine Welle aus Stein sich türmt und bricht, in der bedächtigsten aller Zeitlupen, eine Milliarde Jahre lang – was gilt dann ein Jahrzehnt, ein Jahrhundert, ein Jahrtausend? Der Berg steht still im tosenden Meer der Zeit.
Der Aufstieg und Fall von Zivilisationen, die Geschichte von Fortschritt und Technik in der modernen Welt – für die menschliche Ambition war das Gebirge stets Widersacher und Ansporn zugleich. Indem es Täler und Dörfer, Länder und Kulturen voneinander trennte, forderte es uns heraus. Und wir fanden immer einen Weg. Einst brauchten wir Wochen, um die eisigen Höhen zu überwinden. Stapften in Felle gewickelt durch Eis und Schnee. Wir fürchteten Bären und Wölfe, zahlten murrend den Wegzoll, hofften auf das Flackern der Lampe und das rettende Hospiz, ganz oben am Pass. Nun sausen wir in Ledersesseln durch neonhelle Röhren im Granitgestein, durchmessen ganze Gebirgsmassive in wenigen Minuten, oder fliegen wohl klimatisiert über schneebedeckte Gipfel hinweg. Die Berge, die uns einst hoch wie der Himmel selbst erschienen, haben nicht nur ihren Schrecken verloren – sie wurden verkehrstechnisch dem Erdboden gleich gemacht.
Und die Alpenstraßen? Von Generationen genialer Baumeister über Schluchten und Gipfel gespannt, diese in Stein gehauene Etappensiege gegen die Übermacht der Natur? Sie sind zu Blinddärmen unserer Verkehrsnetze geworden, ephemere Spuren vergangener Mobilität. Doch nun, da die Ingenieure unserer Zeit die Berge lieber durchbohren statt sie zu überwinden, werden die alten Serpentinenstraßen bald aufgegeben, gesperrt, um die Bergwelt zu schützen vor unserer hochmotorisierten Vergnügungssucht? Wie werden unsere Kinder, Enkel, Urenkel diese Bergwelten erfahren? Noch immer als Teil ihrer physischen Existenz – nur eben von Strom, Wasserstoff, Synthetic Fuel statt Benzin durch die Kurven getrieben? Oder bloß virtuell? Als Stellvertreter auf ihren hochauflösenden Displays? Als Artefakte längst vergessener Epochen, ohne eigene Erinnerungsbilder, ohne Bezug zu ihrer Lebensrealität? Und welche Rolle werden die Berge noch spielen im übernächsten Menschheitskapitel, in hundert, ja tausend Jahren?
Die Zukunft der Berge bleibt Fiktion – und so richten wir unsere Aufmerksamkeit auf die Gegenwart: Oft ist es gerade die Nostalgie des Nutzlosen und Irrelevanten, die auf uns eine besondere Anziehungskraft ausübt. Ihrer ursprünglichen Funktion beraubt, tritt immer mehr die ästhetische Dimension dieser Bergstraßen und Alpenpässe hervor. Ihre Schönheit, ihr Versprechen von Entschleunigung und Authentizität. Und so ändert sich auch unser Blick.