Immer wieder fragen uns Leser: Wie bekommt man es zuhause durch, jedes zweite Wochenende auf Kurvenjagd in den Bergen verbringen zu können? Ganz einfach: Man lädt die Liebste ab und an zu einer spontanen Grand Tour nach Italien ein. Dass auf dem Weg einige der schönsten Pässe der Alpen liegen, kommt dann auch für einen selbst ganz überraschend.
Das praktische an Italien ist ja, dass es eigentlich immer einen guten Grund gibt, den Motor anzuschmeißen, auf der Karte die passenden Landstraßen mit Serpentinenprofil herauszusuchen und der Sonne in Richtung Süden zu folgen. In diesem Sommer waren es die „Floating Piers“ des Verpackungskünstlerpaares Christo und Jeanne-Claude auf dem norditalienischen Lago d’Iseo, die uns als erstes Ziel für unser langes Granturismo-Wochenende dienten. Sechzehn Tage lang verbanden die orangefarbenen Pontons die Inseln des Sees zu einer atemberaubenden Flaniermeile, die allerdings nicht ganz so weltvergessen auf dem Wasser schaukelte, wie es sich viele Besucher wohl vorgestellt hatten: Schon um fünf Uhr morgens war bei unserer Ankunft auf den schwimmenden Piers so viel los, wie sonst höchstens am letzten Samstag vor Weihnachten auf der Fifth Avenue. Statt der erwarteten 500.000 Besucher kamen am Ende ganze 1,2 Millionen! Wie gut, wenn man angesichts solcher Massen pilgender Feuilletonleser und Profi-Instagrammer einen stillen Ort kennt, an dem man die Vorzüge und Nachteile von Christos neuester Inszenierung bei einem guten Glas Wein und den wahrscheinlich besten Tortellini Norditaliens erörtern kann: Das Ristorante alla Borsa im Dorfkern von Valeggio sul Mincio am Südende des Lago di Garda mag auf den ersten Blick unscheinbar wirken, doch was Alceste Pasquali und seine Frau Albina Stanghellini seit fast 60 Jahren an Teigwaren auf den Teller bringen, ist nicht weniger als große Kunst!
Mit einer ordentlichen Portion „Tortellini di Valeggio“ auf den Rippen, sind wir dann auch genügend gestärkt, um die nächste Station unserer Neo-Bildungsreise anzusteuern: Vor einem guten Jahr hat die Kunststiftung Fondazione Prada in einer ehemaligen Brennerei im Süden von Mailand ihren neuen, von Rem Koolhaas entworfenen Kunst-Campus eingeweiht. Schon das Gebäudeensemble aus alten Fabrikhallen, gläsernen Ausstellungskuben und einem in Gold glitzernden Haupthaus ist phänomenal – doch auch das Ausstellungsprogramm ist erstklassig und kann problemlos mit den größten zeitgenössischen Museen und Exhibition Spaces mithalten. Momentan ist eine Einzelausstellung dem großen deutschen Foto-Illussionisten Thomas Demand gewidmet, der sich unter dem Titel „L’Image Volée“ geschickt dem systematischen Ideenklau in der Kunstgeschichte annähert. Auch Werke von Edward Kienholz, Robert Gober und Louise Bourgeois stehen derzeit im Zentrum.
Es ist exemplarisch für den Perfektionismus der Fondazione Prada, dass selbst das Museumscafé zu einem Wallfahrtsort der globalen Hipster-Elite geworden ist. Entworfen hat die im Mailänder Retro-Stil gehaltene „Bar Luce“ nämlich niemand Geringeres als der Filmregisseur Wes Anderson. Und tatsächlich ist die Bar von den Retro-Möbeln über die Tapeten bis zu den Flipper-Automaten so liebevoll ausgestattet, dass zum perfekten Hollywood-Feeling eigentlich nur noch Bill Murray und Jason Schwarztman fehlen, die sich bei Espresso und Sfogliatelle über die lombardische Vogelwelt unterhalten. Die Fondazione Prada ist mit ihrem Mailänder Kulturprojekt übrigens noch nicht ganz fertig: Neben der ehemaligen Distilerie wächst derzeit ein Kunst-Hochhaus in den Himmel – und auch in der Innenstadt soll demnächst eine Dependence eröffnen.
Leider neigt sich das Wochenende bereits seinem Ende entgegen, und so steuern wir nach dieser inspirierenden Kunst- und Kaffee-Infusion schon wieder zurück in Richtung Brenner und Münchener Heimat – allerdings nicht ohne auf dem Weg eine gepflegte Rast einzulegen: Der Pretzhof bei Sterzing gehört zu unseren absoluten Favoriten unter den naturnahen Restaurants in Südtirol, unter dem Motto „echt gsund vom Berg“ und ohne herkömmliche Speisekarte bekommt man hier mit Blick auf die umliegenden Gipfel wunderbare saisonale und erntefrische Gerichte aus eigener Herstellung aufgetischt. Doch allein der Bauernspeck ist die Reise wert. Wer sich vom italienischen „Dolce Vita“ noch nicht verabschieden mag, kann alternativ auch bei Johnson und Dipoli in Egna / Neumarkt einkehren – das kleine und lebhafte Bistrot ist einer jener magischen Orte, an denen man eigentlich nur eine kleine Vorspeise essen wollte, und plötzlich die ganze Nacht verbringt, Rotweinflasche um Rotweinflasche köpft und Freunde fürs Leben findet. Nur die Alpenpässe sollte man dann auf der Rückfahrt vielleicht etwas sachter anfahren als gewohnt. (c) Stefan Bogner & Jan Baedeker