Die Geschichte des Porsche 356 Speedster gehört zum Gründungsmythos der Marke Porsche, die meisten Markenjünger können sie im Schlaf herunterbeten. Und doch lohnt es sich, sie immer wieder einmal zu erzählen – denn sie vergegenwärtigt so schön anschaulich, welcher Philosophie das Haus Porsche seinen Aufstieg und globalen Erfolg bis heute verdankt. Im Prinzip war der erste Porsche 356 Speedster ein Zwei-Mann-Zelt auf Rädern. Ein besonders schnelles, wohlgemerkt. Die Idee für stammte von Max Hoffman, der die kleine deutsche Sportwagenmarke in den 1950er Jahren in den USA vertrat – und schon bald die Hälfte der Jahresproduktion des Porsche 356 für seine amerikanischen Kunden beanspruchte. Dominiert wurde der amerikanische Sportwagenmarkt jedoch von britischen Marken wie Austin-Healey, Jaguar, MG und Triumph, deren offene Roadster-Modelle sich gut im Rennsport einsetzen ließen – und vor allem im sonnenverwöhnten Kalifornien äußerst beliebt waren. So schlug Max Hoffman vor, eine kompetitive und bezahlbare Roadster-Version des Porsche 356 zu produzieren.
Auf Ferry Porsches Geheiß entstand unter dem Projektnamen Typ 540 ein offener, renntauglicher Sportwagen, der von Hoffman auf den Namen „American Roadster“ getauft wurde. Doch die handgefertigte Aluminiumkarosserie war zu teuer, nur 17 Exemplare wurden gebaut. Nach weiteren Beratungen mit Ferry Porsches Co-Geschäftsführer Albert Prinzing wurde entschieden, ab 1954 eine „nackte“ Version des Porsche 356 Cabrios zu produzieren. Mit gestutzter Windschutzscheibe, leichten Schalensitzen und einem winzigen, behelfsmäßigem Stoffverdeck war der Porsche 356 Speedster nicht nur besonders leicht, er blieb auch unter der magischen Preisgrenze von 3.000 US-Dollar. Auf Innenraumverkleidungen und Seitenscheiben hatte man verzichtet – und selbst die Heizung und der Tachometer fanden sich auf der Optionsliste. Weniger Porsche konnte man für sein Geld nicht bekommen. Und doch – oder wahrscheinlich gerade wegen seiner konsequenten Philosophie des Verzichts – wurde der bei Reutter karosserierte, 820 Kilogramm leichte Minimalsportler in Amerika ein großer Erfolg. Unter dem Werbespruch „Years Ahead in Engineering. Miles Ahead on the Road“ wurde der Speedster von Max Hoffman vermarktet und in seinem eindrucksvollen Showroom in der New Yorker Park Avenue präsentiert. Im Jahr 1957 setzte Porsche stolze 1.171 Exemplare des Speedster ab.
Der Porsche 356 Speedster wurde zwar für die Straßen und Rennstrecken Kaliforniens erdacht – doch auch an der Passhöhe des Sankt Gotthard, zwischen Schneefetzen und Geröllfeldern auf 2.106 Höhenmetern, hat der kompakte silberne Sportler eine starke, geradezu betörende Präsenz. Seine funktionalistische Eleganz der Konstruktion, die Schönheit der Materialien und die Kompromisslosigkeit des Konzepts erinnern an andere Ikonen des Nachkriegsdesigns – die Fiberglas-Möbel von Charles und Ray Eames, die Fertighäuser von Jean Prouvé. Man steht vor diesem Auto und weiss nicht, welche Details man zuerst bewundern soll: Die vergitterten Frontscheinwerfer? Den goldenen, herrlich schwungvoll hingeworfenen Schriftzug an der Flanke? Die Chromlinie, die dem Wagen mit einem einzigen gekonnten Strich seine Dynamik verleiht? Das Leder der burgunderroten Sitze? Die weit unter der Karosserie verborgenen Räder? Das schießschartenhafte Seitenfenster bei geschlossenem Verdeck? Dass dieser Porsche 356 A Speedster T2 1600 aus dem Jahr 1957 einst an Max Hoffman in New York ausgeliefert wurde, den größten Teil seines Lebens in Kalifornien verbrachte und vor gut zehn Jahren über Umwege seinen Weg zurück nach Europa fand, macht das Auto nur noch begehrenswerter.
1958 wurde der Porsche 356 Speedster vom komfortableren Cabriolet D ersetzt – und es sollte nochmals 40 Jahre dauern, bis sich Porsche seiner puristischen Wurzeln besann und auf Basis des Porsche 911 einen neuen Speedster auf die Straße schickte. Schon 1987 hatte das neue Modell auf der IAA in Frankfurt als einsitzige „Clubsport“-Version für Aufsehen gesorgt. Zwischen Januar und Juli 1989 wurden 2.104 Exemplare des Porsche 911 Carrera 3.2 Speedster gebaut – die meisten von ihnen im breiten „Turbolook“. So sind heute vor allem die 171 schmalen Karosserieversionen, zu denen auch unser rotes „Fotomodell“ am Gotthard gehört, gesuchte Sammlerstücke. Auf das G-Modell folgte 1993 der dritte Speedster auf Basis der Elfer-Baureihe 964. Obwohl der neue Speedster komfortabler ausgelegt war als der rennsportliche Porsche 911 Carrera RS, beschränkte sich die Ausstattung auf das Nötigste. Um das „Notfalldach“ aufzuschlagen bedurfte es Übung – dafür konnte man sich das mühsam schöngesparte Leistungsgewicht auf Wunsch und eigene Verantwortung mit einer Klimaanlage und einer Stereoanlage vermasseln. Ursprünglich plante Porsche, rund 3000 Exemplare zu fertigen, letztlich liefen nur 936 Porsche 911 Speedster vom Band. Auch das silberne Exemplar in unserer Speedster-Formation stammt aus den USA – der aktuelle Besitzer hat nur die wenig elegante dritte Bremsleuchte entfernt.
Während vom Porsche 911 der Generation 993 nur zwei handgefertigte Speedster-Exemplare entstanden – eines für Ferdinand Alexander Porsche, eines für Jerry Seinfeld –, nahm Porsche die Tradition mit der Baureihe 997 wieder auf: In Anlehnung an den ersten Speedster wurde die Produktion auf 356 Exemplare limitiert. Ansonsten hatte der in weiß und blau erhältliche Porsche 911 Speedster jedoch nur wenig gemein mit dem puritanischen Sportgerät der 1950er Jahre. Mit vollbeledertem Cockpit, Navigationssystem und PDK-Getriebe bot der rund 1.540 Kilo schwere Speedster alles auf, was Porsche an Komfort zu bieten hatte. Zumindest das knappe Verdeck war weiterhin so widerspenstig, wie es sich für einen echten Speedster gehörte.
Es sagt viel aus, dass sich Porsche im Jahr 2018 entschied, das 70. Sportwagenjubiläum mit einer fünften Inkarnation des mythischen Speedsters auf Basis der Elfer-Reihe 991 zu feiern. Und dieses Mal scheinen sich die Produktentwickler wirklich Gedanken darüber gemacht zu haben, was einen Speedster eigentlich ausmacht: Im Heck sitzt statt des Turbos aus dem Standard-Carrera ein Vierliter-Sauger mit 510 PS Leistung, geschaltet wird ausschließlich manuell, man sitzt auf Sportschalensitzen, die Dämpfer sind straff gespannt, Radio und Navigation gibt es nur auf ausdrücklichen Wunsch und auch beim Öffnen und Schließen des Dachs muss man weiterhin Hand anlegen – auch wenn die Elektronik mittlerweile die Entriegelung übernimmt. Der neue Porsche 911 Speedster ist neben dem 911 R und dem 911 GT3 Touring nicht nur das begehrenswerteste Sondermodell der Generation 991 – er sieht mit seinen Carbonhutzen, dem straff gespannten Verdeck und dem neuen Heritage-Paket auch noch verdammt gut aus! Natürlich ist auch der neue, auf 1948 Exemplare limitierte Porsche 911 Speedster mit knapp 1,5 Tonnen kein Fliegengewicht – und man muss zugeben: Auf den Passstraßen am Gotthard und vor allem auf den Pflastersteinserpentinen der alten Tremola nimmt der Fahrspass mit sinkenden Kilos und Baujahreszahlen schließlich exponentiell zu. Wahrscheinlich muss man einfach akzeptieren, dass die Automobilgeschichte keinen Rückwärtsgang besitzt und selbst eine breit aufgestellte, durch und durch sportliche Marke wie Porsche nicht darum herumkommt, puristische Fahrmaschinen wie den neuen Porsche 718 Spyder mit Start-Stopp-Automatik zu bestücken. Ein wirklich kleines, wirklich leichtes Sportmodell, das unter 1.000 Kilo bleibt und auf jeden erdenklichen Komfort verzichtet, liegt für einen großen Hersteller wohl nicht mehr im Bereich des Möglichen. Dennoch ist es angesichts der fünf Generationen des Porsche 911, die für uns in Formation über den Gotthardpass dahinfliegen, verblüffend zu sehen, wie sehr sich Porsche mit Leidenschaft und großem Geschichtsbewusstsein darum bemüht, die „Seele“ seiner Sportwagen von einem Modell ins nächste wandern zu lassen. Und an keinem aktuellen Auto zeigt sich dies so gut gelungen wie am Speedster, der mehr als alle anderen Porsche den globalen Siegeszug der Marke durch Purismus, Sportlichkeit und Designkompetenz verkörpert. Der die Fäden zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammenhält. Und der zum Glück noch immer das ist, was er schon immer war: das schnellste Zwei-Mann-Zelt der Welt.
(C) Photos: Stefan Bogner • Text: Jan Baedeker