top

Wenn Du im ohnehin knapp bemessenen Urlaub den Elfer stehen lässt, um Dich über die Passstraßen Südtirols zu schwingen, dann sollte das alternative Gefährt schon wenigstens vergleichbar sein. Oder besser nicht. Oder beides? Die Tour auf historischen Vespen mit ein paar Kumpels aus Deutschland und Italien hat beides versprochen: Heckmotor, gut gepflegte Tradition, Unmittelbarkeit im Antritt, einzigartigen Sound, verführerische Formen. Und andererseits eben ein Massenmobil, zwei Räder weniger, recht geringe Leistung und die archaische Technik historischer Zweitakter. Der Vespa ganzer Reiz, seit der „Paperino“ 1946.Ein paar Anrufe zwischen den Kumpels, noch schnell eine Zulassung für die frisch erstandene Bella Donna Bj. 1981 besorgt, ein Blick in die CURVES Ausgabe Norditalien und  schon stehen Route samt Programm für drei Tage entschleunigter Männerfreundschaft (nicht von jeher das Ziel unserer Ausflüge, aber sehen wir es doch als Lebenserfahrung, als Errungenschaft). Schöne Strecken, die richtige Gesellschaft, landestypische Kulinarik, einen Tank voll Sprit - das gute Leben kann so einfach sein. Und die Vespa spielt stilsicher den Soundtrack des Dolce Vita wie von selbst dazu ein. Auch an diesem Samstagmorgen zeigt die mächtige 2015er Sommersonne Ihre Kraft, läßt die sieben blechernen Insekten vor unserem Treffpunkt erstrahlen, einer Caféteria in Lana. Eine 1967er Granturismo posiert da mit wollüstigen Formen in Minz, ganz so als stiege Gina Lollobrigida kurvenreich (aber mit etwas zu viel Bekleidung) aus der Brandung. Die „wide frame“ Vespa spielt seit den ersten Tagen mit den Fantasien der Männer. Mit separatem zweiten Schwingsattel konnte die Damenwelt züchtig halbseitig sitzend hinter dem frisch aufpomadierten Lenker Platz nehmen. Mit ursprünglich 125 Kubik, heute aber ganz in italienischer Tradition ein wenig „aufgemacht“ (vulgo: frisiert), spaziert die etwas freier saugende und mehr Gemisch fassende Schönheit gute 100 km/h schnell. Der „vespismo“ war eben immer auch schon ein Stück „machismo“.

  • Folglich ranken sich unsere Gespräche noch vor dem ersten Espresso des Tages auch nicht mehr um die Bewunderung der historischen Diffenzierungsmerkmale, sondern widmen sich Benzinphilosophischen Betrachtungen, welcher Body für die engen Passstrassen der geeignetste wäre, welcher Krümmer zu wieviel mehr Luft, welche Kanalbearbeitung im Motorinneren zu welcher Leistung und - ganz am Ende - welcher Auspuff dem Gefährt zum besten Knatterton verhilft. Das schöne daran: nach kurzer Zeit werden auch Vespa-Novizen zu Experten. Denn die eher basale Technik der alten Vespen erlaubt ein schnelles Einlernen und erfordert keine Ausbildung zum KFZ-Mechaniker, geschweige denn zum Mechatroniker heutiger Tage. Damit wäre wohl ein weiteres Element der Vespamania entschlüsselt: ein geringes technisches Verständnis, einen kleinen Satz Schraubenschlüssel, eine Ersatzzündkerze und etwas Zweitaktöl als Spritzusatz reichen, um mit der oft als unverwüstlich geltenden Vespa auf große Tour zu gehen. Sie rollt und rollt und rollt - und erinnert nicht zuletzt deshalb an die Freiheit, die der Käfer früheren Generationen gab. Manchmal rollt sie sogar quer durch einen ganzen Kontinent, wie die Jungs von Motorliebe letztes Jahr auf Ihrer Durchquerung der USA von der Ost- zur Westküste festgestellt und in einem schönen Buch festgehalten haben. Dem geplanten „kurzen Espresso“ folgen weitere, wir sind in Italien, ein bisschen locker machen und landestypisch entspannt in den Tag starten. Irgendwann sitzen wir dann doch auf, treten den Anlasser mit dem rechten Fuß ein, zwei Mal, geben dem guten Maschinchen ein wenig Luft, treten nochmal und erwecken die Lebensgeister mit etwas Handgas am rechten Griff: erst metallisch tiefröchelnd, dann langsam so etwas wie ein Rundlaufen des Motors erzeugend, blechern anblaffend mit einzelnen herben Noten von Heavy Metal - das klassische Rääängtängtäng. Ein Grinsen stellt sich ein und die Gewissheit, wunderbare Tage vor sich zu haben. Kupplung gezogen, die Linke dreht nach unten, rückt den ersten Gang ein und synchronisiert den Kupplungsschluss mit dem Handgas der Rechten. Die Wespe setzt sich in Bewegung und hebt ab, als der Fahrer lässig den linken Fuß vom Boden auf das unverändert funktionale wie formschöne Trittblech hebt. Filmreif, wie bei Wiler, Fellini, Moretti & Co.: auf der Vespa ist Rom überall. Zweiter, Dritter, Vierter - raus aus dem Dorf, rauf auf die Pässe, rein ins volle Leben. Wir schwingen uns vom Etschtal den Salten hinauf, passieren den Langfenn und Jenesien, hinab Richtung Bozen. Die schmalen kurvenreichen Verläufe helfen beim Eingrooven auf den Rhythmus dieser Tage, es duftet nach Heu, langsam gibt der dichte Lärchenwald den Blick auf die Dolomiten frei. Tunnel für Tunnel das Sarntal hinauf meistern die Wespen, schwach beleuchtet aber klangvoll, und nach kurzem Füttern von Mensch und Maschine folgt mit dem Penserjoch die erste wirkliche Höhenprüfung. Die Wespen versuchen mit dem weniger werdenden Sauerstoff und der - konservativ „fett“ gewählten - Einstellung ein dennoch Vortrieb erzeugendes Gemisch zu verbrennen. Im spärlichen Verkehr ziehen wir einsam unsere Spur bis auf die Passhöhe, die Reihenfolge der Ankunft bestimmt aus dem Leistungsgewicht der „Manchines“. 15 statt 10 PS sind fein, aber 60 Kilo Mensch noch vorteilhafter als derer 100. Am Tatort Penserjoch hat Jürgens 200er Rally zu kämpfen, Leistung hin oder her. Michel könnte schneller, sammelt mit Südtiroler Gelassenheit aber das Feld - auch das ist Vespa-Style. Und Michael? Beschließt vermutlich gerade, während der nächsten Diät die Vespa aufzurüsten. Donnerwetter - und zwar von Westen bedrohlich näher rückend. Man mag als Vespafahrer im Regen zwar „von unten“ fein sauber bleiben, die nasse Fahrbahn schätzen die kleinen Durchmesser der Räder jedoch nicht. Andy und Armin stechen voran Richtung Trockenheit und sind nach ein paar Kurven für den Rest der Gruppe nicht mehr zu sehen, nicht mal für Markus. Verdammt, das sollte für meine wahrlich Wespentaillierte ET3 doch der große Moment sein - allein das Talent zu folgen fehlt mir und der Mut. Eine GoPro an Armins gut gemachter 200er zeigt später weswegen: Schräglagen bis zur Motorblockschraube bei montierten Semislicks und gefühlvoll weit aufgerissenem Gas sorgen für Tempi und (nicht nur subjektiv) rassiges Racen. Und während die beiden Heisssporne im Tal die Bläschen aus der Blutbahn klopfen, schließen wir fünf nur gelegentlich bremsend und sonst im Rhythmus des Asphaltbandes der Wärme entgegen cruisend wieder auf.

  • Im Würzjoch reihen sich Wohnmobile, Urlaubsbummler, Gelegenheitsmotorradfahrer und einzelne Radler in eine verwobene Kette ein und mutieren zu einer wabernden, trägen Masse. Mit dem Auto bist Du auf den engen Straßen zum Hinterherfahren verdammt und selbst mit dem (großen) Motorrad nur an manchen Stellen überholfähig. Hier schlägt die Stunde der Vespa, denn die zwölf PS meiner dunkelblauen schmalen ET3 reichen locker, um in Innenkurven, Außenkurven und Kehren vorbeizugehen. So legen wir sie uns alle zurecht, einen nach dem anderen und setzen den Stachel der Wespe: keine Taille ist schmäler, keine eleganter und keine tanzt so grazil durch’s enge Geschlängel den Pass hinauf - und wieder runter. Der Vollintegralhelm des Ducati-Piloten verhindert den Blick auf seine Zornesröte, als Armin wieder einmal die Lücke nutzt und auch an dieser Macht vorbeigeht. Andy merkt schneller, was Harley David Son of a Bitch gedacht haben muss, als er seine Granturismo an dessen verchromten Liegestuhl vorbeischiebt - internationale Handzeichen inbegriffen. Jetzt schnell davon, bevor sich der mattschwarz behelmte leitende Angestellte die aggressiven Aufnäher seiner Teillederweste als Handlungsanleitung zum Umgang mit Vespafahrern heran nimmt. So fahren wir noch drei Tage: Falzarego, Giau, Pordoi, Sella, Grödner, Karrer, Niger heißen die Pässe, die Strässlein sind namenlos und klein, eng gewunden, wie die Ortschaften durch die sie ab und an führen. Was wir mit dem Sportwagen in einem Tag durchmessen, wird mittels Vespa auf der Raum-Zeit-Achse neu aufgedröselt. Ob sportlich oder in Flaniermanier - Du riechst, siehst, hörst, spürst, ja sagen wir es doch: lebst mehr. Man ist weniger Pilot als vielmehr ein durch die Lande Schreitender; legt nicht Strecke zurück, sondern bereist. Und so rollst Du. Groovst Dich ein, auf die Straße, den Verkehr, die Landschaft, Leute, Licht, Luft und Laune. Einfach so im Zweitakt der Wespe, im Einklang mit der Welt. Grazie, amici. Grazie, Paperino.

  • (c) Andiamo / Die Welt / ps-blog